Immer wieder wird Kritik laut an einem vermeintlichen Verfall unserer guten deutschen Sprache. Sie werde immer ärmer, überschüttet von Anglizismen und Modewörtern, verkrüppelt durch SMS, Mails und Blogs, verstümmelt und ausgedünnt durch das Internet allgemein - und korrekte Grammatik beherrsche heutzutage ohnehin niemand mehr.
Das klingt übel. Denke ich an so manche (fiktive, aber definitiv vorgekommene) SMS - Konversation wie:
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"Yo digga, voll stylo die Sneakers auf Foto."
"Sicha Alder sind neu, tighter shit. Von USA."
"Yolo!"
neige ich dazu, den Kritikern spontan Recht zu geben. Ich persönlich finde die deutsche Sprache wunderschön, sie ist sehr kraftvoll, sehr facettenreich, kann poetisch sein oder aggressiv und sie hat eine riesige Lexik. Und, ehrlich gesagt, erwarte ich von meinem Gegenüber, dass er sich wenigstens Mühe gibt die Sprache korrekt zu benutzen. Niemand ist perfekt, auch nicht hinsichtlich der von klein auf gelernten, ständig benutzten, gefestigten und erweiterten, der zwischenmenschlichen Kommunikation täglich und minütlich dienenden Sprache (warum eigentlich nicht???), aber für mich zeugt es von Respektlosigkeit, wenn mir jemand einen fehlerhaften Satz vor die Füße rotzt. Du willst, dass ich dir zuhöre oder antworte? Dann gib mir einen vollständigen Satz. Du willst, dass ich dich anhimmele? Dann verwende alte deutsche Verben oder exotische Metaphern. Und nichts bringt mich mehr zum Lachen als gelungener Wortwitz. Show me some respect, man.
Zurück zu den Verarmungspessimisten: Ist das wirklich so? Ist das Deutsch dem Untergang geweiht und verkümmern unsere Grammatik und unser Wortschatz?
Eine ausführliche empirische Studie mit dem Titel "Reichtum und Armut der deutschen Sprache" kommt zu dem vorläufigen (Endresultate werden im Herbst 2013 präsentiert) Ergebnis: NEIN! Unsere Sprache unterliegt dem normalen Wandel und ist reicher als jemals zuvor!
Die Studie wurde durchgeführt von der Deutschen Akademie für Dichtung und Sprache und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaft. Ein Team von Sprachforschern untersuchte Unmengen deutscher geschriebener und redigierter Texte der letzten hundert Jahre und solche, die stark bearbeitet sind, wie beispielsweise Wikipedia.
Dabei zeigte sich ganz deutlich, dass die deutsche Sprache, was ihren Wortschatz betrifft, immer umfassender wird. Gab es zwischen 1905 und 1914 noch 3,175 Millionen Wörter, waren es zwischen 1948 und 1957 schon 5,045 Millionen und zwischen 1995 und 2004 5,328 Millionen. 2004 gab es "Yolo" noch nicht, das kommt also in jedem Fall noch dazu, bei "Alter" im Sinne des oben genannten Gebrauchs bin ich mir nicht sicher.
Die stetige Vergrößerung des Wortschatzes ist leicht erklärt, für ständig neue Entwicklungen und Gegenstände brauchen wir neue Begriffe, gerade was den technischen Bereich angeht oder das Internet. Warum nicht auf die ursprünglichen Termina zurückgreifen, sondern erst umständlich eindeutschen? Ist doch wesentlich einfacher direkt bei "Gadget" zu bleiben, anstatt "dieser Apparat mit technischen Spielereien" zu sagen; oder "Internet" - "Zwischennetz" klingt einfach albern. Oder stellt euch vor, wir würden alle den ganzen Tag "zwitschern" - die ältere Generation würde denken, wir seien alle Schwerstalkoholiker.
Einfachheit ist überhaupt das Stichwort. Alle Kultursprachen entwickeln sich stetig hin zu mehr Einfachheit. Englisch zum Beispiel hat lediglich einen Artikel "the", im Italienischen, Französichen, Deutschen wird zwischen Nominativ und Akkusativ kaum noch unterschieden. Das ist die natürliche Entwicklung, in Fachkreisen als "ganz langfristige grammatische Reorganisation und Resystematisierung" der Sprache bezeichnet und nicht nur negativ: Zum Beispiel führt die nachlassende Verwendung des Dativ-Es dazu, dass es gewissermaßen frei geworden ist für ausschließlich "vornehme" oder ironische Sprachebenen.
Dieser Prozess findet bereits seit indogermanischen Zeiten statt und ist weder den Medien, noch dem Internet oder einer allgemeinen Verdummung der Jugend geschuldet. Ganz im Gegenteil - neue Bereiche schaffen neue Begriffe. Und eine sogenannte "Jugendsprache" hat jede Generation. Sie ist einfach Ausdruck der Abgrenzung zu den Erwachsenen und verändert die deutsche Sprache insgesamt nur marginal.
Das Wichtigste für eine Sprache ist vor allem ihr Reichtum an Worten. Je mehr Lexik, desto mehr Ausdrucksmöglichkeiten haben wir. Deshalb sind die Forscher auch davon überzeugt, dass es der deutschen Sprache so gut gehe, wie noch nie. Alte Begriffe geraten zwar in Vergessenheit, hauptsächlich, weil die bezeichneten Dinge nicht mehr verwendet werden. Oder wer weiß noch, was eine Droschke ist? Nein? Dann brauchst du auch den Begriff nicht mehr zwingend. Gleichzeitig kommen aber ständig neue deutsche Wörter hinzu, wie zum Beispiel "rödeln" oder "motzen". Oder nur vermeintliche Anglizismen wie "Handy" oder "Info-Point", die es im Englischen gar nicht gibt. Unsere Sprache wächst und wächst und das ist gut so.
Liebe Kritiker, ihr macht euch also unnötig Sorgen, seht diese Entwicklung unserer Sprache lieber als natürlichen Prozess oder sogar Chance Zugriff auf noch mehr Wörter zu haben. Und zumindest ich - und sicher noch viele andere - wissen es zu schätzen, wenn ihr uns mit einer Droschke abholt und wir über altdeutsche Belletristik plaudern. Wobei, ich würde mich eventuell auch mit ein paar hübschen Neologismen verführen lassen. Egal, bemüht euch ein bisschen, wenn ihr Konversationen führt und haltet mir nur dieses "Yolo" vom Hals, dann bitte ein gepflegtes deutsches "man lebt nur einmal", liebe Diggeralders. Das Leben ist viel zu geil um in schlechtem Deutsch beschrieben zu werden!
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