Auf der Game Developers Conference 2013 in Köln, vergangene Woche, durfte ich den Worten von Jim Brown, dem leitenden Leveldesigner bei Epic Games (Gears of War 1-3) und Assistenzprofessor für Englisch an der University of Wisconsin-Madison lauschen. Der Experte für Rhetorik, neue Medien und Literatur sowie Game- und Leveldesign bringt Licht ins Dunkel der Entwickler und Produzenten, wenn es um Geschichten und Geschichtenerzähler in digitalen Spielen geht. Überspringt Ihr gerne mal (mental) eine Zwischensequenz in Halo, lest keine Hintergrundtexte in World of Warcraft oder habt jedes einzelne Buch in The Elder Scrolls: Skyrim liegen gelassen?
Es ist nicht Eure Schuld, sagt Jim. Die Game Designer und Autoren haben versagt, wenn uns die Story nicht interessiert.
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Zu Beginn seines Talks bat uns Jim, auf möglichst bedrohliche Weise in seine Richtung zu schreien, als seien wir irgendwelche Bestien. Er hatte nämlich geträumt, dass keiner zu seinem Talk kommen würde. Dabei war sein Vortrag einer der spannendsten Vorträge für meinen Geschmack: Es ging um die Kunst des Geschichtenerzählens und die Probleme hierbei, die sich Game Designern und Autoren für Spiele gerne mal stellen.
Jim hat sich für seinen Vortrag zwei Beispiele ausgesucht, die verschiedene Erfolge im Geschichtenerzählen illustrieren sollten: Demon's Souls (PS3) und The Walking Dead (das Adventuregame von Telltale Games, Multiplattform sowie mobil erhältlich).
Im Gegensatz zu alten Kunstformen, die alle nach der Druckpresse á la Gutenberg fungieren, haben Games einen anderen narrativen, sprich erzählerischen, Anspruch und haben andere Freiheiten. Brown vergleicht das Medium eher mit dem Theater, als mit einem Film oder Buch. Klassischerweise hat ein Drama fünf Akte. Moderne Fernsehkunst kann auch in drei Akten auftreten, was dort vor allem durch die zwei größeren Werbepausen bei Serien bedingt wurde. Irgendwann muss man ja die Seife in der Soap verkaufen.
Zwei Pausen, damit ihr ein bisschen Seife kauft
Durch die Zeiteinschränkung und die (einst) zwei Unterbrechungen im Fernsehen gibt es wenig Wege um eine klassische Struktur herum, die bis hin zu Aristoteles (dort in fünf Akten in seiner Ars Poetica bezeichnet) zurückgeht. Der deutsche Schriftsteller und Dramatiker Gustav Freytag ist eine der Personen, denen die immens gründliche Analyse der heute häufig anzutreffenden (häufig auch in modifizierter Form) Akteinteilung des Dramas in fünf Teile oder sogenannte Akte gutgeschrieben wird. In seiner Studie Die Technik des Dramas finden moderne Autoren folgende Eckpfeiler einer Geschichte:
Das Regeldrama bietet damit ein grobes Rahmenwerk für Theater-Autoren, die eine Struktur für ihre Geschichte suchen oder gar die Geschichte um das Rahmenwerk herum konstruieren. Wenn ihr über Hollywood-Filme nachdenkt, werdet ihr erkennen, dass viele dieser Filme so ziemlich genau in der Mitte einen Bruchpunkt haben. Bis dahin steigert sich die Spannung, nachdem die Charaktere eingeführt wurden, das Tempo steigt meist mit.
Nach dem Höhepunkt verlangsamt sich das Tempo der Handlung, Entscheidungen werden oft aufgeschoben (der Bösewicht entkommt, die Herzensdame wird knapp enttäuscht, das Fußballspiel knapp verloren, etc.) und die Spannung wird nochmals durch den Konflikt zwischen dem Antagonisten und dem Protagonisten (meist zu mehr oder minder eindeutigen Teilen gut oder böse) angezogen. In der letzten Phase namens Lysis (oder Katastrophe) sind in der klassischen Variante entweder alle Protagonisten zu furchtbaren Dingen bis hin zum Tode verdammt - oder alle tanzen und feiern am Schluss, wie bei den völlig verstrahlten Folgen der Batman-Serie aus den 60er Jahren.
Aber Games sind doch keine Bücher!
Games sind auch keine Filme, auch wenn wir "cinematisches" Gameplay gelegentlich auch gerne genießen. Games sind eher wie das gesprochene Wort! Jim Brown zog den tabellarischen Vergleich zwischen der mündlich kommunizierten Geschichte (wie am Lagerfeuer) und der abgedruckten Story. Die Hauptunterschiede deuten alle darauf, dass Games den Lagerfeuergeschichten deutlich ähneln: Wie auf einer Theaterbühne ist ein Spielerlebnis praktisch unwiederholbar in allen Details. Eine Kleinigkeit verändert sich immer. Die Länge ist nicht festgelegt auf einen bestimmten Rahmen, wie bei einem Buch. Viele Spiele haben mehrere Erzähler, die in Form von Spieler-Akteuren miteingebunden werden (z.B. Minecraft).
Noch ein interessanter Aspekt: Die Erfahrung ist getrennt vom Inhalt. Wir können durch Half-Life 2 Bunnyhoppen oder andere Spieler in Call of Duty teabaggen, unser Team in Counter-Strike in jeder Runde mit einem Teamkill entzürnen oder im Extremfalle Skyrim mit einer "My Little Pony"-Modifikation oder Liberty City in GTA mit dem rollenden weißen Flügel ein Solo verpassen. Auch ohne eine sogenannte Mod wird jeder Spieler schon mal sein eigenes Ding aus einem Spiel gemacht haben, ohne sich an die Story oder Welt halten zu müssen.
Spiele können nicht vom Plot diktiert werden. Nur weil die Geschichte etwas vorschreibt, heißt das nicht, dass ich als Spieler nicht meinen eigenen Kontext erzeugen kann. Habt ihr schon einmal Euer eigenes Ding aus einem Spiel gemacht? Ich bin mir fast sicher, dass jeder seine eigenen kleinen Meta-Spielchen hatte, sei es um den fehlenden Multiplayer-Modus bei einem SNES-Game irgendwie zu umschiffen.
Gedruckte Geschichten (oder auch Filme) sind statisch. Sie werden über ein Artefakt (Buch, Zeitschrift, DVD) herübergebracht und sind in ihrem Medium hard-coded. Der Inhalt ist meist generalisiert und homogenisiert worden, um ihn einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Es gibt nur eine Quelle für die Geschichte, einen Erzähler, und die Erzählform ist sequentiell linear. Kein Weg drumherum. Interferenz wird vermeidet. Ihr könnt zwar den Fernseher anschreien und um eine Änderung der Ereignisse flehen (Nein, Batman, tu das nicht!), aber er wird Euch nicht hören.
Spiele ähneln in jeglicher Hinsicht dem Lied eines Barden, oder der Theaterperformance auf der Bühne, oder einer Lagerfeuergeschichte. Die Geschichten werden von mehreren Erzählern übermittelt, die Zuhörer beteiligen sich mit eigenen Fragen und Unterbrechungen daran, das Tempo ist variabel und die Gegner (Akteure) benehmen sich jedes mal ein bisschen anders, es sei denn wir spielen ein durchweg fest definiertes Spiel á la C64-Ära mit stocksteifer AI.
Wieso beharrt die Industrie dann darauf, jedes mal dasselbe ausgelutschte Modell der Print-Tradition mit seinen statischen Geschichten und vordefinierten Erlebnissen der Gamingwelt aufzuzwingen?
Die Identität des Spielers
Wer bist Du, wenn Du spielst? Bist Du der Protagonist, oder bist Du eigentlich eher Du selbst? Wenn wir Freunden von einer Erfahrung berichten, werden wir entweder vom Charakter sprechen (oft bei zwischensequenzlastigen Titeln so) oder von eigenen Erlebnissen sprechen, als wären wir selbst dort gewesen. Manche Storyaspekte werden besser in dieser Form kommuniziert, andere sind in Selbsterfahrungen besser verpackt.
Soll der Autor nun entscheiden, ob und wann Du eine Story konsumieren möchtest, oder nicht? Wenn wir krampfthaft das langwellige Schema von klassischem Drama auf ein Spiel anwenden, das eher kurzwellige (in häufiger Frequenz und somit kleinen Abständen) auftretende Ereignisse aufweist, kann es eigentlich nur zu unerwünschten Konflikten führen und verdammt künstlich wirken. Cutscenes bzw. Zwischensequenzen reißen den Spieler oftmals auf unangenehme Art und Weise aus dem Spielgeschehen, weil sie nicht zur primären Erzählform passen.
Am Beispiel der Story von Halo 3 und einem Review durch Yahtzee von Zero Punctuation (ein amüsant schnell sprechender Spielekritiker, der animierte Reviews von Spielen macht) verdeutlicht Jim Brown, dass selbst ein Experte des Mediums nicht unbedingt jede Story kapieren kann oder muss. Manchmal werden wir mit Story erschlagen, manchmal passt es einfach gar nicht ins Spiel und allzu oft werden ganze Universen erschaffen, die nur von einem Bruchteil der Spieler überhaupt Akzeptanz oder Aufmerksamkeit erhalten.
Die Paradebeispiele Demon's Souls und The Walking Dead
Ersterer Titel, das skrupellose und seelenerweichende Demon's Souls, bringt die Geschichte in kleinen Fragmenten unter, die in der Spielwelt verteilt sind. Ich könnte an einer Stelle vorbeikommen, die ein anderer Spieler vielleicht niemals sehen würde. Die Produzenten hätten den Content dann umsonst eingebaut - dafür zwingt mich niemand zu langweiligen Story-Orgien mit langwierigen Cutscenes, unzähligen Namen die ich sofort wieder vergessen werde, oder aber auch völlig irrelevanten Abhandlungen über mir unbekannte Parallelgeschichten im selben Universum. Wenn ich ein Stück Story finde, dann passt es in meine persönliche Geschichte, die ich irgendwann vielleicht einem Kumpel erzähle. Bei ihm sah es vielleicht ganz anders aus - obwohl wir in der gleichen Welt spielten.
Die subtilen Designentscheidungen bei Demon's Souls ließen das Universum des Spiels an jeder Ecke durchsickern. Intonation, grafische Stile und Animationen wirken wie etwas, was man so in dieser Form eigentlich nie zusammengeführt sieht. Das Spiel hat einen merkürdigen Charakter und zeigt das sowohl unterschwellig, als auch direkt in den Details der Spielwelt. Dabei kommt es ohne jeglichen Erzähler aus, ohne viel Text und ohne informationsträchtige Zwischensequenzen (bis auf ein Pseudo-Intro).
Ein nettes und außergewöhnliches Feature in Demon's Souls ist die passive Kommunikation zwischen Spielern. Wir können in der Welt eine Botschaft an die Wand oder den Boden schreiben, die irgendwo in einem Paralleluniversum bei einem zufälligen anderen Spieler ankommt, der uns auch nicht direkt antworten kann. Da schreibt einer vielleicht so etwas rein wie: "Spring hier runter, dann rechts, da gibt es fette Beute!". Und irgendwo findet sich auch ein leichtgläubiger Trottel, der den freiwilligen Selbstmord durch den viel zu hohen Sturz in Kauf nimmt, um seine Neugier zu befriedigen. Hilferufe, komplette Lügen oder gut gemeinte Warnungen erschaffen hier eigene kleine Geschichten.
The Walking Dead hingegen strotzt vor Linearität. Es ist ein Spiel, bei dem es um Entscheidungen geht, deren Multiple-Choice-Fragebögen aber irgendwann am Ende der Saga immer am gleichen Ziel ankommen. Sorry für diesen kleinen Spoiler, falls ihr die Reihe noch nicht durch hattet. Das ist das Faszinierende an diesem Spiel: Die mutmaßliche Illusion von Entscheidungskraft und freiem Willen bei gleichem Ende. Doch da es nicht das Ende ist, um das es hier geht, ist das auch überhaupt kein Problem. The Walking Dead ist dennoch großartig, weil die eigentliche Geschichte nicht von einem großen Spannungsbogen und klassischem Drama abhängt, sondern von zwischenmenschlichen Momenten und somit momentär einzigartiger Interaktion. Die Spielerfahrung ist trotz der linearen Struktur etwas Starkes, weil die Launen der Charaktere während menschlich nachvollziehbaren Situationen in Empathie beim Spieler kanalisiert werden.
Am Ende eines jeden Kapitels von The Walking Dead sehen wir, wie andere Leute auf der ganzen Welt diese menschlichen Entscheidungen gemeistert haben. Dabei können wir unsere Handlungsweisen mit den anderen Vergleichen, sehen wo wir im Durchschnitt positioniert sind und ob wir der Norm entsprechen. Das trägt irgendwo auch zu einer Art persönlicher Story bei.
Die Kids von heute wissen schon, warum sie so auf Sandbox-Games wie Minecraft stehen und bei Zwischensequenzen den A-Button durchhämmern
Gears of War ist ein gutes Beispiel für ausgezeichnet geschriebene Dialoge, die nur im absolut richtigen Moment abgespult werden. Tausende Zeilen sind situationsbezogen und passen sich somit dem Kontext an. Vielleicht wurde ein großer Teil der Dialoge völlig umsonst geschrieben - dafür gehen sie niemandem auf die Nerven.
Brown schlägt vor, Story wie ein Power-Up bei Mario zu behandeln. Spieler sollten wirklich Bock darauf haben, das nächste versteckte Puzzleteil in einem Geheimgang zu entdecken - aber auch die Freiheit haben, das Spiel ohne nervige Unterbrechung fortführen zu können. Die Lösung liegt also nicht in immer besseren Texten und immer größeren Starautoren mit Hollywood-Affinität, sondern in besserem Level Design und Game Design. Man sollte den Spielern Gelegenheit bieten und den Raum schaffen, damit sie ihre eigene kleine Story erleben können und den Story-Anteil selbst dosieren können.
Das geht beispielsweise mit einer molekülhaften Story, die in tausenden kleinen Fetzen überall in der Welt verteilt ist und im richtigen Kontext zu einem Erlebnis wird. Der cinematische Effekt wie bei The Last of Us, das ja bekanntlich komplett linear und vorbestimmt ist, kann trotzdem etwas gutes sein. Ich für meinen Teil war bis zum Schluss völlig absorbiert und gepackt von diesem Spiel und spielte es bis zum Ende durch - was ich heutzutage nicht mit vielen Titeln mache.
Bei Bioshock Infinite stand das Gameplay der Story und der Umgebung oftmals im Wege, zu getrieben fühlte ich mich beim Gemetzel durch die Etappen des Shooters in den Lüften. Auch ein gutes Beispiel dafür, wie schwer es ist, Gameplay und Story wirklich Hand in Hand gehen zu lassen. Dafür war die gute Elizabeth (oben auf dem Artikelcover zu sehen) ein Paradebeispiel für kontextsensitive Ereignisse und Emotionen, wenn sie sich mal wieder genervt und enttäuscht verhielt oder nachdenklich irgendwo anlehnte.
Minecraft ist natürlich ein Extrembeispiel für die Abwesenheit von jeglicher Story und einer besonders minimalistischen Atmosphäre. Umso interessanter ist es zu sehen, dass die Kids von Heute ihre eigenen Geschichten und Umgebungen erschaffen, die sie noch viel eher fesseln als die verworrene Backstory von Halo, die beim kontinuierlichen Geballer mit Freunden sowieso keiner wirklich verfolgt hat. Anders kann ich mir auch nicht die Beliebtheit von Let's Plays auf YouTube erklären, wo letztendlich die Spieler mit ihren Erzählerqualitäten im Vordergrund stehen und für Unterhaltung sorgen.
Was meint ihr? Welche Games hatten in Euren Augen den besten Umgang mit Story und Geschichten? Welche Spiele haben die nervigsten Zwischensequenzen? Welches Spiel liebt ihr abgöttisch, habt aber überhaupt keine Ahnung über das Universum, in welchem sich die Geschichte abspielt?
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